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Der Ziegler Simon Brüning berichtet

Im Jahr 1900 hatte Heiligenkirchen 818 Einwohner. Waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch fast alle in der Landwirtschaft tätig, so änderte sich dies in der zweiten Hälfte bedingt durch Zuzug und die Industriealisierung, es gab u.a. die ersten Dreschmaschinen. Ansässige und auch zugezogene Bürger konnten in der Landwirtschaft kein Auskommen mehr finden. Die häufigsten Berufe außerhalb der Landwirtschaft waren dann Maurer und Ziegler. Die Volkszählung vom 1.10.1910 ergab in Heiligenkirchen 32 Ziegler und 60 Maurer, von diesen waren 13 Ziegler und 10 Maurer Wanderarbeiter. Hermann Wendt berichtet in seinem Buch „Amt Falkenberg“ über einen Wanderarbeiter und schrieb:

„Simon Brüning, geb. 20. 5. 1881 in Berlebeck, zuletzt wohnhaft im Schling auf Dierkshofe, ging nach der Entlassung aus der Schule zunächst auf Ziegelei und erlernte später das Maurerhandwerk. Er kannte also die Wanderarbeit aus doppelter Erfahrung. 1937 hat er eine Schallplatte besprochen, die die NSDAP Adolf Hitler zum Geburtstag geschenkt hat. Er hat bei dieser Gelegenheit in anschaulicher Weise erzählt, wie in seinen jungen Jahren auf eine Hoffnung immer eine große Enttäuschung folgte, wie von einer harten Gegenwart ein verklarender Schein auf die Vergangenheit gefallen ist und er auf sie zurückgeschaut hat wie auf ein verlorenes Paradies. Ich lasse seine Erzählung als ein Denkmal des Schlinger Platt hier folgen“.

,,Eck sin niu sessenfiftig Johr äult. Os eck fo twöenfertig Johr iut der Scheole kamm, wör wüi met elben Jungens. Dä Lehrer froge us, wat wüi anfangen wolln. Deo mellen sick tojjen van den elben, de upt’t Tichelwerk wolln, öiner woll dat Molerhandwerk lern. Os wüi Sundags konfermojjert wörn, konn eck nau nich in de Frömde gohn, wüil eck näu köine Stie hadde. Eck moßte dorümme annen annern Dage glüik in Böjjerbike up der Saremöllen anfangen. Dä lästen dröi Johr inner Scheole was eck uppen Biwwernhowe wesen un hadde da Kojje hot. Spoß hadde müi dat nicht maket un eck dachte jümmer: „Junge, wenne bläos örst iuter Scheole bist, dann krist diu dat bedder!“ Öwwer dot kam ganz anners. Up der Saremöllen word eck ganz mächtig uppen Schwit brocht. Eck moßte van smorns bät soms dat Affallholt teohäupe soiken und no´n Kettel drejen, dat dä Heizer wat teo boiden hadde. Junge, dat gaf flinke Böine un moije Knoken. Ganz seo schlecht wast niu oll bün Biwwern un inner Scheole nicht majjer. Wat was eck frau, ose up öinmol mün Pappe vannen Tichelwerke bü Langendreer schreiw, eck soll seofort müinen Kuffer packen und no Langendreer kumen. Et diwwer nich lange, do hadde eck müinen widden Pucken upn Nacken un ging met müiner Mammen non Bahnhowe in Deppel. Müin Pappe hale müi do achter vanner Bahn aff. Niu was eck uppen Tichelwerke. Eck soll, seo was müi seggt, dat Koken maken. Öwwer dat kam äuk wir anster. Eck moßte affdregen. Di Stöinemaker hadden Strick annen Diske hangen. Do gaff et wecke met, wenn ecken Stöin schöiwe henlegt hadde, edder teolange wegblieben was. Do lerste flink maken un uppassen. Läop mol joiden Dag drö diusend mol füf Meter hen un her. Dat giften vomukt langen End. Wenne dat van smorns halfvojjer bat soms niegen jümmer makt hast, dann kannste dat Bedde wall finnen un kannst auk lüjjen. Wat was eck frau, osse dä vörtojjenste Oktower kam, dat eck wir nor Mammen forn konn. Do gafft doch woinigstens mol wat anners teo eten. Uppen Tichelwerke hadde eck dän ganzen Sommer Dag fo Dag anners nix kriegen, osse Erfte, Baunen und Linsen met amerikansken Speck. Frojjer had eck den Kumst gar nicht mocht, niu freuje eck mü, dat et baule wir wecken gaff. Eck häwwe mannigmol dacht, wenn eck doch oinmol wir bün Biwwern Kojje hoin und bü der Mammen Kumst eten könne. Os eck innen Herwest wir kam, konn eck müinen Pappen owwer fiftig Daler uppn Disk tellen. Deo was eck doch mächtig stolz.”

Falls Sie einige Wörter nicht kannten, hier die Übersetzung:

„Ich bin nun sechsundfünfzig Jahre alt. Als ich vor 42 Jahren (1895) aus der Schule kam, waren wir elf Jungen. Der Lehrer fragte uns, was wir anfangen wollen. Da meldeten sich zehn von elf, dass sie auf Ziegelei wollen, einer wollte das Malerhandwerk erlernen. Als wir sonntags konfirmiert wurden, konnte ich noch nicht in die Fremde gehen, weil ich noch keine Stelle hatte. Ich musste darum am nächsten Tage gleich in Arbeitskleidung in Berlebeck  auf der Sägemühle anfangen. Die letzten drei Jahre in der Schule war ich auf einem Bauernhof gewesen und hatte da Kühe gehütet. Spaß hat mir das nicht gemacht und ich dachte immer: „Junge, wenn du bloß erst aus der Schule bist, dann hast du es besser!“ Aber das kam ganz anders. Auf der Sägemühle würde ich mächtig in Schweiß gebracht. Ich musste von morgens bis abends das Abfallholz zusammensuchen und zum Kessel tragen, damit der Heizer was zum Brennen hatte. Junge, das gab flinke Beine und müde Knochen. Gant so schlecht war das  nun schon beim Bauern und in der Schule nicht mehr. Was war ich froh, als auf einmal mein Vater von der Ziegelei bei Langendreer (Stadtteil von Bochum) schrieb, ich soll sofort meinen Koffer packen und nach Langendreer kommen. Es dauerte nicht lange, da hatte ich meinen weißen Rucksack auf dem Nacken und ging mit meiner Mutter zum Bahnhof in Detmold. Mein Vater holte mich nachher von der Bahn ab. Nun war ich auf der Ziegelei. Ich soll, so wurde mir gesagt, das Kochen machen. Aber das kam auch wieder anders. Ich musste auftragen. Die Steinemacher hatten einen Strick an einen Tisch gehangen. Da gab es welche mit, wenn ich einen Stein schief hingelegt hatte, oder zu lange weg geblieben war. Das lernst du, schnell zu machen und aufzupassen. Lauf mal jeden Tag dreitausend mal fünf Meter hin und her. Das gibt ein verdammt langes Ende. Wenn du das von morgens halb vier bis abends neun immer gemacht hast, dann kannst du das Bett wohl finden und kannst auch liegen. Wie froh war ich, als der vierzehnte Oktober kam, dass ich wieder zu Mutter fahren kann. Da gab es doch wenigstens mal was anderes zu essen. Auf Ziegelei hatte ich den ganzen Sommer Tag für Tag nichts anderes zu kriegen als Erbsen, Bohnen und Linsen mit amerikanischem Speck. Früher habe ich den Weißkohl gar nicht gemocht, nun freue ich mich, dass es bald wieder welchen gab. Ich habe manchmal gedacht, wenn ich doch einmal wieder beim Bauern Kühe hüten und bei der Mama Weißkohl essen könnte. Als ich im Herbst zurück kam, konnte ich meinem Papa über fünfzig Taler auf den Tisch zählen. Da war ich doch mächtig stolz.“
 

Ziegelei_Brünig jpg

Simon Brüning (Pfeil) auf der Ziegelei